Was der neue WHO-Pandemievertrag bewirken soll – Ein Weg zu besserer globaler Pandemievorsorge
Die Corona-Pandemie hat weltweit deutlich gemacht, wie verwundbar die Menschheit gegenüber neu auftretenden Infektionskrankheiten ist.
In einer Zeit, in der Viren und Bakterien schnell um den Globus reisen können, sind internationale Zusammenarbeit und klare Regeln essenziell.
Vor diesem Hintergrund haben die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach über drei Jahren intensiver Verhandlungen einen Vertrag zur Pandemieprävention verabschiedet.
Dieser Vertrag soll sicherstellen, dass künftige Pandemien besser eingedämmt und globaler Schaden minimiert werden kann.
Doch was genau beinhaltet dieser Vertrag?
Welche Streitpunkte gab es? Und wie ist der aktuelle Stand der Umsetzung? Dieser Artikel liefert einen umfassenden Überblick.
Warum ist ein Pandemievertrag überhaupt notwendig?
Die Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie haben viele Schwachstellen in der globalen Gesundheitsarchitektur offengelegt.
Als sich das Virus SARS-CoV-2 Anfang 2020 aus China ausbreitete, reagierten die meisten Länder zunächst überstürzt und oft isoliert.
Es kam zu erheblichen Engpässen bei lebenswichtigen Schutzmaterialien wie Masken, Handschuhen und Schutzanzügen.
Mehrere Staaten, darunter auch Deutschland, verhängten Ausfuhrsperren, um ihre eigenen Versorgungssysteme zu sichern.
Diese Maßnahmen führten allerdings zu Versorgungsengpässen in anderen Ländern, besonders in ärmeren Regionen, die ohnehin mit begrenzten Ressourcen kämpften.
Als erste Impfstoffe verfügbar waren, verhielten sich viele Industriestaaten ähnlich: Sie horteten große Mengen an Impfdosen, während in vielen Teilen der Welt selbst die Erstimpfung auf sich warten ließ.
Die Ungleichheit im Zugang zu Impfstoffen wurde zu einem der gravierendsten Probleme der Pandemie.
Genau hier setzt der Pandemievertrag an.
Ziel ist es, den globalen Umgang mit künftigen Pandemien besser zu koordinieren, um Chaos und Wettbewerbe um knappe Ressourcen zu vermeiden und sicherzustellen, dass alle Länder – unabhängig von ihrer Wirtschaftskraft – Zugang zu Schutzmaßnahmen und Therapien haben.
Die Kerninhalte des Pandemievertrags
Der neue Vertrag der WHO-Mitgliedsländer umfasst mehrere wichtige Bereiche, die das gemeinsame Ziel verfolgen, künftige Pandemien frühzeitig zu erkennen, schnell einzudämmen und möglichst geringfügige Auswirkungen auf die Bevölkerung zu haben.
1. Frühwarnsysteme und Stärkung der Gesundheitssysteme
Ein zentraler Punkt ist die Verbesserung der nationalen Gesundheitssysteme sowie der Überwachung und Kontrolle von Krankheiten.
Insbesondere wird die Überwachung des Tierreichs ausgebaut, denn viele gefährliche Krankheitserreger stammen von Tieren und können auf den Menschen überspringen.
Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ein Frühwarnsystem zu etablieren, das Ausbrüche möglichst schnell erkennt und dadurch eine schnelle Reaktion erlaubt.
2. Globale Lieferketten für Schutzmaterial und Medikamente
Der Vertrag sieht vor, globale Lieferketten aufzubauen und zu stärken, sodass bei einer Pandemie alle Länder zeitgleich und bedarfsgerecht mit Schutzmaterialien, Medikamenten und Impfstoffen versorgt werden können.
Vorrangig soll dabei das Gesundheitspersonal geschützt werden, da es an vorderster Front gegen die Krankheit kämpft.
3. Technologietransfer und Forschung
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Förderung von Forschung und der Transfer von Technologien.
Pharmaunternehmen werden dazu angehalten, ihr Wissen zu teilen, damit Produktionskapazitäten auch in weniger entwickelten Ländern aufgebaut werden können.
Dies soll die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern reduzieren und die globale Produktionsfähigkeit stärken.
4. Freier Zugang zu genetischen Informationen
Zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe sollen DNA-Sequenzen von Krankheitserregern frei zugänglich sein.
Dies ermöglicht eine schnellere Forschung und Entwicklung, da Wissenschaftler weltweit auf relevante Daten zugreifen können.
Im Gegenzug verpflichten sich Impfstoffhersteller, der WHO zehn Prozent ihrer Produktion für ärmere Länder kostenlos zu spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen anzubieten.
Dieser Austauschmechanismus, bekannt als „Pathogen Access and Benefit Sharing“ (PABS), ist allerdings noch nicht final ausgehandelt und wird derzeit in einem separaten Anhang behandelt.
Streitpunkte und Herausforderungen bei den Verhandlungen
Die Ausarbeitung des Pandemievertrags war ein langwieriger Prozess, bei dem zahlreiche unterschiedliche Interessen aufeinandertrafen.
Diese führten zu intensiven Diskussionen und Kompromissen.
Europäische Länder und die Prävention
Viele europäische Staaten setzten sich für strengere Auflagen in der Prävention ein, vor allem für eine umfassendere Überwachung des Tierreichs.
Sie argumentierten, dass viele gefährliche Viren und Bakterien ihren Ursprung in Tieren haben und ein früher Eingriff entscheidend für die Verhinderung einer Pandemie sei.
Allerdings brachten ärmere Länder vor, dass solche Maßnahmen hohe Kosten verursachen, die sie nur schwer stemmen könnten.
Afrikanische Länder und Technologietransfer
Die afrikanischen Staaten verlangten deutlich strengere Regeln beim Technologietransfer und eine klare finanzielle Unterstützung zur Stärkung ihrer Gesundheitssysteme.
Sie kritisierten, dass während der Corona-Pandemie die internationale Solidarität fehlte und ihre Bedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
Eine verbindliche finanzielle Unterstützung sowie eine gerechte Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten sollten daher im Vertrag festgeschrieben werden.
Der PABS-Anhang
Besonders umstritten ist der „Pathogen Access and Benefit Sharing“-Mechanismus.
Hier sollen Regelungen getroffen werden, wie genetisches Material geteilt wird und wie die daraus entstehenden Vorteile verteilt werden.
Da hier erhebliche wirtschaftliche Interessen von Pharmafirmen berührt werden, sind die Verhandlungen komplex und noch nicht abgeschlossen.
Verschwörungsmythen und falsche Behauptungen
Seit der Bekanntgabe des Pandemievertrags kursieren in sozialen Netzwerken und alternativen Medien zahlreiche Verschwörungstheorien.
Häufig wird behauptet, die WHO erhalte damit weitreichende Machtbefugnisse, um bei künftigen Pandemien Zwangsmaßnahmen anzuordnen, Reisebeschränkungen zu verhängen oder Lockdowns durchzusetzen.
Diese Vorwürfe sind jedoch unbegründet.
Im Vertrag selbst, insbesondere in Artikel 22 Nummer 2, ist ausdrücklich geregelt, dass weder die WHO noch ihr Generaldirektor innerstaatliche Maßnahmen wie Impfpflichten, Reiseverbote oder Lockdowns verhängen können.
Solche Entscheidungen liegen allein bei den souveränen Staaten.
Außerdem findet der Vertrag nur in den Ländern Anwendung, die ihn ratifizieren.
Es sind keine Sanktionen vorgesehen, falls ein Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Die rechtlichen Mechanismen sind also auf Kooperation und freiwillige Einhaltung ausgelegt, nicht auf Zwang.
Der Weg zur Ratifizierung und in Kraft treten des Vertrags
Obwohl der Vertrag beschlossen wurde, ist er noch nicht rechtskräftig.
Es stehen noch wesentliche Verhandlungen an, insbesondere zum PABS-System.
Erst wenn diese abgeschlossen sind, kann der Vertrag den Mitgliedsstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden.
Für das Inkrafttreten ist eine Ratifizierung durch mindestens 60 Länder erforderlich.
Die WHO zählt derzeit 194 Mitgliedsstaaten, allerdings haben einige, darunter die USA und Argentinien, ihren Austritt angekündigt, was die Umsetzung erschweren könnte.
Es wird daher noch einige Jahre dauern, bis der Vertrag verbindlich angewandt werden kann.
Doch die Mitgliedsstaaten setzen mit ihm ein klares Signal, dass internationale Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung oberste Priorität hat.
Fazit: Ein wichtiger Schritt für die globale Gesundheitssicherheit
Der neue Pandemievertrag der WHO ist ein Meilenstein in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit.
Er soll helfen, die Fehler und Schwächen aus der Corona-Pandemie zu beheben und die Welt besser auf künftige Gesundheitskrisen vorzubereiten.
Dabei geht es nicht nur um technische Maßnahmen, sondern auch um Gerechtigkeit: Der Vertrag fordert den fairen Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten, den Technologietransfer und eine stärkere Unterstützung von Ländern mit weniger Ressourcen.
Die Herausforderungen bei der Umsetzung sind groß, und es bleibt abzuwarten, wie schnell und umfassend der Vertrag in Kraft treten wird.
Doch die Bereitschaft der Staaten, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, ist ein positives Zeichen.
Für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet dies langfristig mehr Sicherheit, schnellere Reaktionen im Krisenfall und eine gerechtere Verteilung von lebenswichtigen Mitteln – ein Gewinn für die globale Gesundheit und Solidarität.